Hanns-Ulrich Wein
Kulturpolitischer Glücksfall im Herzen der Heide
Zehn Jahre Arbeitsgruppe Soltauer Gespräche
65 Vorträge, um 3500 Besucher – Blick hinter die Kulissen lohnt
SoItau entwickelte sich in den letzten zehn Jahren zu einem Vortrags-Zentrum fiir die Prominenz der kultur-politischen Szene. U.a. traten ans Pult: der Nachwende-Ministerpräsident der DDR Lothar de Maiziere, Bremens Ex-Bürgermeister Hans Koschnick, der einstige Botschafter der Sowjetunion in Bonn Valentin Falin, mehrere hochrangige Generale der Bundeswehr und der NATO, Friedensforscher Egon Bahr, die evangelische Landesbischöfin Margot Käßmann, ihr katholischer Kollege Josef Homeyer aus Hildesheim, Cap-Anamur-Initiator Rupert Neudeck, ARD-Chefreporter Friedhelm Brebeck sowie mit dem langjährigen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden Jgnatz Bubis und der ostdeutschen Sozialpolitikerin Regine Hildebrandt zwei inzwischen verstorbene Prominente. Insgesamt kamen von 1994 bis Ende 2003 über 65 Redner aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Publizistik an die Böhme. Sie lockten etwa 3500 Zuhörer in die Bibliothek Waldmühle.
Für die Veranstaltungen verantwortlich zeichnete die Arbeitsgruppe Soltauer Gespräche. Deren geistige Mütter. und Väter waren engagierte Mitglieder des Kulturausschusses des Rates der Stadt und der von ihnen erdachten Kulturkonferenz. In dieser bemühten sich fast zweimal jährlich die Vertreter der Vereine und die Kultur-schaffenden, ihre Veranstaltungen zeitlich zu koordinieren, Erfahrungen auszutauschen, Vorschläge zu machen und Ideen zu produzieren. In der ersten derartigen Kulturkonferenz im November 1993 machte der damalige CDU-Ratsherr Dr. Hans Lucas den Vorschlag, anlässlich des 50. Jahrestages des 20. Juli 1944 mit einer Veranstaltung den deutschen Widerstand gegen die Hitler-Diktatur zu würdigen. Dafür bildete sich spontan eine Arbeitsgruppe. Diese gewann als Redner den Generalinspekteur der Bundeswehr von 1966 bis 1972 Ulrich de Maiziere. Er sprach am 4. Juli 1994 in Soltau zum Thema „Das Vermächtnis des 20. Juli 1944". Die Veran-staltung fand so viel Anklang, dass die Gruppe übereinkam, beisammen zu bleiben.
Ein-Satz-Statut reichte aus
Ein Statut für die künftigen Aktivitäten war rasch formuliert und wie folgt beschlossen: „Die Arbeitsgruppe Soltauer Gespräche möchte mit Veranstaltungen (Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Seminaren) zu Themen z.B. aus Politik, Wirtschaft und Kultur zur geistigen Auseinandersetzung mit Fragen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beitragen."
Mehr Handlungsgrundlage als dieser Satz erwies sich binnen zehn Jahren nicht als erforderlich. Die Arbeits-gruppe funktionierte ohne Satzung, Vorstand und Kassenprüfer. Ihre Mitgliederliste blieb fast unverändert. Auf ihr stehen die Namen des Bürgermeisters und des Stadtdirektors des AG-Gründungsjahres, Wolfgang Bargmann und Jürgen Fenner, die Namen der damaligen Ratsmitglieder Erik Carls (Bürgerunion), Dr. Hans Lucas (CDU), Hildegard Oppermann (CDU), Heinzjürgen Pfitzinger (CDU) und Siglinde Wein (SPD), der Name des Soltauer Bürgers und ehemaligen Chefs des Wehrwissenschaftlichen Institutes für Schutztechnologie in Munster Dr. Helmut Krüger, des Pastors i. R. Dr. Heinrich Kröger sowie der engagierten Bürgerinnen bzw. Bürger lnge Lehmann-Böhm, lnge Lueken und Jan Leudolph.
In jüngster Zeit gesellte sich Dr. Ludwig Schänzler aus Munster dem Arbeitskreis zu. Die Liste wurde nie als endgültig angesehen. Die Mitglieder waren und sind gern bereit, an der Mitarbeit Interessierte in die Arbeits-gemeinschaft aufzunehmen. Sie hoffen vor allem auf das Engagement Jüngerer, zumal die Soltauer Rats-mitglieder bis auf eines im Laufe der Zeit der aktiven Kommunalpolitik Ade sagten. Zu ihrem Sprecher wählte die Arbeitsgruppe Dr. Hans Lucas, der somit jetzt ein Jahrzehnt lang die Aufgabe des ehrenamtlichen Geschäftsführers wahrnimmt. Was die im Statut verankerten Ziele betrifft, so hatten die Veranstaltungen aus-schließlich Vortragscharakter. Podiumsdiskussionen werden für die Zukunft nicht ausgeschlossen. Seminare zu sozialwissenschaftlichen Themen fanden bisher nicht das exwartete Interesse. Hinsichtlich der Themen-stellung lagen die Schwerpunkte bei zeitgeschichtlichen Gedenktagen und Problemen (z.B. Naher Osten, Balkan, europäischer Einigungsprozess, Gentechnologie, Islam, Kirche heute und Umweltfragen). Wiederholt wurde auch über gesundheitspolitische, psychologische und soziologische Fragen referiert. Auch diese Themen fanden durchweg viel Interesse.
Die Soltauer Gespräche erwiesen sich als wesentliche Beiträge zur staatsbürgerlichen Information. Sie deckten ein vielfältiges Meinungsspektrum ab und schlossen damit offensichtlich eine Nachfrage-Lücke.
Wie funktionierte das?
Kunst der Referenten-Gewinnung ohne Angst vor „großen Tieren"
Die Anwerbung von Referenten beginnt mit dem Schreiben von Briefen ohne Furcht vor „großen Tieren". Den Angesprochenen wird die Stadt Soltau und ihr kulturelles Leben kurz vorgestellt. Es folgen Zeitrahmen- und Themen-Vorschläge. Die materiellen Möglichkeiten betreffend Honorar, Fahrtkostenerstattung und Hotelunter-bringung werden wirklichkeitsnah geschildert. Schließlich kommt die Bitte um Zusage und Terminvorschläge. Eine eventuelle telefonische Nachfrage wird angekündigt. Bei diesem Verfahren gibt es, so eine Erinnerung des Geschäftsführers, keine Absagen. Allerdings wird dann und wann ein Vorhaben wegen Terminschwierigkeiten zeitlich hinausgeschoben. Hilfe bei der Suche aussagekräftiger Referenten leisten die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU und die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD, die beide Außenstellen im Lande Niedersachsen unter-halten. Doch auch im Rahmen dieser Zusammenarbeit spricht der Arbeitskreis die Prominenten direkt an, überlässt dies nicht dem Stiftungspersonal.
Kleine Gespräche vor den großen
Das Vereinbaren eines Tennins endet in der Regel mit der Einladung zu einem Abendessen vor der Veranstaltung mit Mitgliedern der Arbeitsgruppe und anderen Bürgern. Das ist die „Aufwärmphase". Der Referent lernt Soltauer und ihre Gastlichkeit kennen. Die Moderatorin oder der Moderator des Abends kommt in Kontakt mit ihm. Bei guter Speis' und gutem Trank ergibt sich manch munteres und interessantes Gespräch. Der eine oder andere Besucher erzählt dabei so viel, dass die Zeit knapp wird. Bei schweigsamen Partnern erlauben sich die Gastgeber Hinweise und Fragen. Oft wird eine solche Frage bei der Diskussion nach dem Vortrag wiederholt, um die Antwort dem größerem Publikum zugänglich zu machen.
Die „Aufwärmphase" verläuft jeweils im Clubraum eines örtlichen Hotels. Selbstverständlich ist, dass die Soltauer Teilnehmer am ,,kleinen" Gespräch ihre Zeche aus dem eigenen Portemonnaie begleichen. Die Wirtsleute des Hotels, in dem der Kreis sich in der letzten Zeit sehr wohl fühlt, bitten oft um eine Eintragung in ihr Gästebuch. Sie haben mittlerweile ein „Dankeschön" von so manchem Minister, Professor und anderen Prominenten darin stehen.
Atmosphäre durch Architektur
Betritt die Gruppe die Bibliothek, kommt es immer wieder einmal vor, dass dem Referenten ein Satz wie „Welch' angenehmer Raum!" entfährt. Die Architektur der Waldmühle, der Blick auf viele Bücher sowie durch die Glaswand ins Grüne und aufs Wasser schaffen Atmosphäre. Das empfindet sicherlich auch der jeweilige Zuhörerkreis. So fördert und bereichert die Architektur der Bibliothek und ihres Auditoriums Soltaus kultur-politisches Leben.
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe stellen im Wechsel den Zuhörern die Vortragenden mit ihren wichtigsten Lebensdaten und Arbeitsschwerpunkten vor.
Nach jedem Vortrag haben die Anwesenden die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Dann und wann führt das zu einer inhaltsreichen Fortsetzung des Referates. Fragen und Diskussionsbeiträge sind stets von Respekt vor der Meinung anderer geprägt. Das sorgt für ein erfreulich hohes Niveau aller Phasen der Soltauer Gespräche. Der Gesprächsleitung obliegt es schließlich, dem Gast zu danken und ihm ein kleines Geschenk zu überreichen. Die Stadt stellt dafür das Buch „Soltau die grüne Stadt in der Heide" zur Verfügung. Es kommt vor, dass sich die Prominenten der schönen Fotos von Prof. Lothar Klimek und der Begleittexte von Heinzjürgen Pfitzinger besonders erfreuen und sich brieflich dafür bedanken.
Jede Veranstaltung verlangt eine Menge organisatorischer Vor- und Nacharbeit. Eine davon ist der Verkauf der Eintrittskarten. Den übernehmen abwechselnd die Arbeitskreis-Mitglieder und einige ihrer Ehepartner.
Die Platzzahl in der Bibliothek ist begrenzt. Lassen Name und Ruf eines Referenten besonders viel Publikum erwarten, müssen zusätzlich Stühle bereitgestellt werden. Diese werden dann von Männern des städtischen Bauhofs aus einer nahen Schule an- und wieder abtransportiert. Sitzplätze für bis zu 250 Zuhörer werden auf diese Weise geschaffen.
Eintrittsgeld und Zuwendungen
Die Arbeitsgruppe beschäftigt zwangsläufig immer wieder die Frage der Finanzierung der Soltauer Gespräche. Den Grundstock bilden die Eintrittsgelder. Gegenwärtig hat jeder Besucher 5 Euro oder, wenn ihm Ermäßigung gewährt wird, 3 Euro zu zahlen. Wenn ein finanziell besonders aufwendiges Unternehmen ansteht, schaut man sich nach Sponsoren um. Rat und Verwaltung vergeben jährlich kleine Beihilfen an Vereine für soziale, jugendpflegerische und kulturelle Aktivitäten. Auf der entsprechenden Vergabeliste stehen auch die Soltauer Gespräche. Die Kommune anerkennt und fördert sie als ein geistig-kulturelles Aushängeschild und vielleicht sogar mit etwas Stolz.
Zehn Jahre sind eine lange Zeit, besonders für eine ehrenamtlich geleitete Arbeit, auch wenn diese Freude macht. Möglicherweise ist das eine oder andere Arbeitsgruppenmitglied ein wenig müde. „Motor" Dr. Hans Lucas spricht z.B. vom Jahr 2005, wenn man ihn „Wie lange noch?" fragt. Dieser Bericht sollte deshalb kulturpolitisch Interessierte, besonders die rüstigen Rentner unter ihnen, anregen, bei der Gestaltung der Soltauer Gespräche mitzuwirken. Auch Vertreter von Nachbargemeinden sind willkommen. Die Soltauer Gespräche locken ja seit langem so manchen Bürger des Umlandes in die Bibliothek Waldmühle.
Hanns-Ulrich Wein, August Wöhler-Str. 4, 29614 Soltau |